Brexit oder nicht, das ist hier die Frage


Vergangene Woche war in Groß-Britannien ein Referendum über den Austritt aus der EU – Brexit oder nicht. Es ist wie in den Medien berichtet recht knapp ausgefallen: ca 52% für den Austritt, 48% dagegen. Und in den Medien ist auch berichtet, was das alles bedeutet, wer was dazu gesagt hat, wer wen dafür beschimpft hat, und wie es weiter gehen könnte. Der erfahrene Suchmaschinennutzer findet sicher den einen oder anderen Hinweis, ich habe auch ein paar Quellen unten beigefügt. Was fehlt? Nur mein Kommentar dazu.

Die Medienlandschaft bietet eine Kakophonie aus Kommentaren aller Kuleur:

Was wir erleben, ist die möglicherweise nicht durchdachte Entscheidung vieler Briten, eine Unmöglichkeit, nicht zu entscheiden und letztendlich eine Entscheidung, die zur Unzufriedenheit ausgefallen ist. Fraglich ist, ob sie zur Zufriedenheit ausfallen konnte. Der ungefähre 50/50 Ausgang mit einem marginalen Überhang in die eine Richtung spricht nicht für eine Eindeutigkeit.

Wir kennen selbst Entscheidungen dieser Art. Es sind im persönlichen Bereich die Weichen des Lebens:

  1. Welche Schule?
  2. Studium, Lehre, ungelernt arbeiten?
  3. Hochzeit, Kind(er)
  4. Miete oder Eigenheim?
  5. Familie oder Karierre?

Jetzt haben wir erlebt, dass die Briten auf welcher Basis auch immer knapp für den Austritt entschieden haben. Danach heißt es, „Oh, hoppla. Mit dem Kreuz bei Ja: Austritt meinte ich ja nicht wirklich Ja: Austritt. Ich meinte eigentlich: Nein: Bleiben.„. Das ist wie mit den Kinderkriegen. Mit Ja: Kinder sollte einem klar sein, dass Ja:Kinder gemeint ist und die Schwangerschaft üblicherweise ihren weiteren Verlauf nimmt.

Auch die Entscheidung über den Groß-Britanniens Verbleib in der EU lässte keine Art der Leichtfertigkeit zu. Dies ist der Preis für die Demokratie: Der Bürger darf entscheiden, er muss es aber auch. Auch wenn ein redegewandter Mensch daher kommt und dem Bürger mit unzulässig vereinfachenden Argumenten die Last des Nachdenkens und Entscheidens abzunehmen anbietet, ist das Folgen dieser Sirenengesänge auch eine Entscheidung.

Die Briten müssen sich eingestehen, dass die Entscheidungsfindung instabil war. Abgesehen davon, dass das Referendum entgegen allem Geschreis nur empfehlenden Charakter für das britische Parlament hat, können wir uns mal damit beschäftigen, woran wir merken würden, das diese Entscheidung belastbar gefunden worden wäre:

  1. Umfragen zeigen, dass die Entscheidung sachlich begründbar ist.
  2. Die angeführten Fakten sind korrekt und vollständig.
  3. Die Medien informieren sachlich und trennen zwischen Fakt und Fiction, persönlicher Meinung und Bericht.
  4. Die Argumente der Protagonisten sind sachlich.

Ich habe ein Youtube-Video gesehen, in dem eine junge Frau ihre Entscheidung für den Ausstieg begründet hat. Sagen wir es mal vorsichtig: Ich habe die Fakten etwas vermisst. Wir dürfen sehr wohl diskutieren, wie wir bestimmte mögliche Entwicklungen der Zukunft bewerten – Chance oder Risiko, Last oder Ausgleich anderer Vorteile – dann aber bitte sachlich. Nicht alle Argumente der Brexit-Befürworter halten diesem Anspruch stand.

Was haben die Briten nun für Optionen?

  1. Wenn sie einfach nichts tun, bleiben sie in der EU. Insbesondere brauchen sie den formellen Antrag zum Austritt nicht stellen. Dazu müsste sich das Parlament über das Ergebnis es Referendums hinwegsetzen, was in Groß-Britannien rechtlich zulässig ist. Nicht vorgesehen ist, dass der Rest der EU die Briten rauswirft.
  2. Falls das schottische Parlament zustimmungspflichtig wäre, könnten die Briten fast ohne Gesichtsverlust in der EU bleiben, da die Schotten mit mehr als 70% für den Verbleib gestimmt haben. Böse Zungen behaupten, dass sie auf die Strukturhilfen angewiesen sind – das sei aber mal dahingestellt.
  3. Die Briten tragen die Verantwortung für ihr Mehrheitsvotum, kneifen ihren A**** zusammen und steigen aus. Wenn sie draußen sind, dürfen sie auch wieder anfragen, ob sie rein dürfen. So alle paar Jahre können wir so einen Zyklus starten.

Wir müssen nichts überstürzen. Und wir müssen uns auf jeden Fall fragen, welches Problem die Briten mit dem Ausstieg aus der EU überhaupt lösen wollen. Vielleicht ist die Aktion Austritt aus der EU ja nicht die einzige Lösungsmöglichkeit für das Problem. Ich würde mich freuen, wenn sich Herr Cameron jetzt vor die Fernsehkameras stellt und sagt, dass die Briten (zunächst noch) in der EU bleiben und stattdessen die Kritikpunkte an der EU diskutieren und lösen wollen. Damit hätte er meinen Respekt verdient und es wäre ein konstruktiver Umgang mit der Situation. Ebenfalls wäre es Schlag ins Gesicht der Populisten, die wie auch andere Extremisten besser im Zerstören als im Aufbauen und gemeinschaftlich Erschaffen sind.

Was bleibt für mich? Meine beste Ehefrau von Allen beschwert sich gelegentlich, dass es ewig dauert, bis ich Themen vor einer Entscheidung vollständig durchdacht habe. Ich muss einräumen, dass da etwas Wahres dran sein könnte. Ich antworte dann, dass diese Überlegtheit ja eigentlich eher eine Stärke sei. Wie auch immer, es besteht jetzt die Gefahr, dass dieser Habitus mit dem Beispiel der Briten nicht besser wird. Gegensteuernd könnte ich versuchen, die Themen mit wirklicher Tragweite, die Unentscheidbaren und die mit Optionen im letzten Optimierungsquentchen sauberer zu trennen. Dann könnte ich mich auf die Entscheidungen in der ersten Problemklasse konzentrieren und die in den letzten beiden Problemklassen einfach mal so aus dem Bauch heraus entscheiden. Jetzt muss ich nur noch eben schnell die anstehenden Fragestellungen in diese drei Klassen einteilen.