Die Tragik der Allmende


Es sind schon recht viele Krisen, die uns im Moment ins Haus stehen: Corona, Rezession, Klimakrise, Verlust der Biodiversität … Überraschend ist, das in der Suche nach den Ursachen eine menschliche Eigenschaft besonders hervorsticht: Der Vorzug des persönlichen kurzfristigen Vorteils vor einem langfristigen Vorteil der Gemeinschaft. Das ist ja leider bekannt und vermutlich haben diese Eigenschaft viele von Euch schon beobachtet. Seit kurzem kenne ich dazu auch ein bisschen Theorie und will sie Euch nicht vorenthalten.

Da Ihr Euch tapfer entschieden habt, weiter zu lesen, will ich Euch die Lösung nicht länger vorenthalten. Die Theorie hinter dieser allzu menschlichen Eigenschaft ist unter „Die Tragik der Allmende“ bekannt. Einen sehr guten Text dazu findet Ihr als eine Zusammen von Elinor Ostroms Original „Die Verfassug der Allmende“ auf Philoclopedia als Tragik der Allmende. Unter diesen Begriffen findet Ihr schnell weitere Bücher, Veröffentlichungen und Texte im Internet.

Was ist die Tragik?

Die Geschichte, auf der die Theorie beruht ist, ist die Nutzung der Dorfwiese als Weide der Bauern eines Dorfes. Wortgeschichtlich ist die „Allmende“ mit „Allgemeines“ verwandt und bezeichnete eben den Grundbesitz des Dorfes. Wichtig ist, dass diese Weide begrenzt ist, aber allgemein nutzbar. Nehmen wir als Begrenzung nicht die Fläche, sondern ihre Bewirtschaftung an, ergibt sich eine Zahl von ernährbaren Weidetieren. In unserem Beispiel seien es maximal 100 Tiere.

Die Tiere auf der Allmende gehören 5 Bauern und weiteren 5 Personen. In der Summe sind es 80 Tiere, die durch die Wiese gut versorgt werden. Jeder Bauer hat 15 Tiere und jede weitere Person hat ein Tier. Zeitgleich bekommen nun zwei Bauern je ein Angebot ihre Herde zu erweitern. Der eine bekommt ein Angebot über 10 Tiere, der zweite bekommt ein Angebot über 15 Tiere.

Wir sehen, dass jeweils ein Bauer sein Angebot annehmen kann, der andere jedoch dann nicht mehr. Wenn beide ihr Angebot annähmen, würden sie die maximale Anzahl der Tiere für die Weidengröße überschreiten. Für jeden Einzelnen ist das Angebot jedoch vernünftig, da Futterkosten ja nicht entstehen. Was könnte nun passieren?

  1. Kein Bauer sagt zu
  2. Genau ein Bauer sagt zu
  3. Beide Bauern sagen zu und kaufen unabhängig voneinander die Herde. Die Gesamtanzahl der Herdetiere auf der Wiese ist damit um 5 überschritten.

Wie können wir die einzelnen Möglichkeiten nun bewerten? Es ist einleuchtend, dass die Möglichkeiten1 und 2 die Einzigen sind, die ein nachhaltiges Bewirtschaften ermöglichen. Die Tragik der Allmende liegt nun aber darin begründet, dass in der Möglichkeit 3 beide Bauern individuell richtig gehandelt haben und gesamtgesellschaftlich den Ruin der Allmende eingeleitet haben. Trotz ihrer Mühen, gut und vernünftig zu handeln, scheitern sie.

Nun liegt nahe, dass niemand ernsthaft wollen kann, dass die Allmende zerstört wird. Von außen betrachtet erkennen wir ja auch das Drama. Wir brauchen also eine Lösung, mit der die Maximalzahl unter keinen Umständen überschritten werden kann. Was tun?

Lösungen der Tragik

  1. Die Klassiker, die passieren können (Spoiler: Sind keine Lösungen…):
    1. Die Bauern leugnen das Problem, dass die Allmende kaputtgehen könnte. Sie nutzen die Allmende einfach weiter und machen ihre Herde great again. Sie interessieren sich nicht dafür, dass irgendwelche Öko-Spinner annehmen könnten, dass die begrenzte Wuchsgeschwindigkeit des Grases irgendwie dazu führen könnte, dass mehr gegessen werden als nachwachsen könnte.
    2. Warum sind den 100 gut und 101 schlecht? Das kann doch niemand so genau sagen. Solange das also nicht klar ist, machen die Bauern also weiter wie bisher. Einer der Bauern hat auch schon eine weitere Herde mit 10 Tieren gekauft.
    3. Die Bauern kaufen die Herden und treiben sie auf die Allmende. Sie behaupten aber, dass sie es nicht getan haben. Dann schüchtern sie die Aktivisten ein, die anfangen zu zählen und diffamieren sie als Viehdiebe. Die Dorfgemeinschaft beginnt, die Aktivisten auszugrenzen, weil die beiden Bauern grade einen großen Gemeindesaal gespendet haben. Auch von den anderen Personen werden weitere Tiere auf der Allmende geduldet.
  2. Was kann man sich noch gut vorstellen (Spoiler: löst auch nicht die Tragik)?
    1. Die beiden Bauern fordern vor einem gemeinsam anerkannten Schiedsgericht ihr individuelles Recht auf Kauf der Herde ein, da jeder Kauf unabhängig vom anderen möglich ist. Das Gericht verhandelt den Fall vor dem Hintergrund, dass die Gesamtsumme nicht das Limit überschreitet. Ob die beteiligten Bauern sich an den Schiedspruch halten, bleibt aber im Dunklen.
    2. Sie einigen sich untereinander, so dass die neue Summe nun bei 103 liegen soll. Dann treiben sie die Herden wie ursprünglich geplant vollständig auf die Wiese. In einem 200 seitigen Vertrag einigen sie sich darauf, innerhalb der nächsten 30 Jahre zwei Tiere aus jeder Herde abzuschaffen. Den Vertrag kündigt einer der Bauern anschließend. Er postuliert, er müsse ja nichts tun, da die drei unbeteiligten Bauern auch nichts gegen die Überwirtschaftung tun.
    3. Sie vertreiben die 5 weiteren Personen von der Wiese und können so innerhalb des Limits bleiben.
  3. Was sollte passieren? Eines von:
    1. Zentrale Lösung: Sie unterwerfen sie sich einer Institution, die die Bewirtschaftung regelt.
    2. Markt: Sie teilen die Allmende auf und jeder darf seinen Anteil bewirtschaften wie er will.
    3. Gemeinschaft: Alle, die ihre Tiere auf der Weide haben, einigen sich untereinander auf die Einhaltung der aktuell definierten Grenzen. Sie einigen sich weiterhin auf Verfahren, wie sie ein Überschreiten sanktionieren oder auch Quoten verkaufen können.

Was ist nun das Neue?

Zunächst einnmal ist die „Tragik der Allmende“ nicht neu – sie war neu für mich. Mein Vorteil ist, dass ich also viel Material im Internet gefunden habe, um mich schlau zu machen. Auch die Untersuchungen von Elinor Ostrom, die für ihre Untersuchungen speziell über die Bedingungen einer gemeinschaftlichen Lösung 2009 einen Nobelpreis bekommen hat, sind eben heute nicht mehr neu.

Wiederum nur für mich neu ist dieses Modell, wenn ich mir vor Augen führe, warum weder bei der Eindämmung der Corona-Pandemie noch im Klimaschutz globale Fortschritte erzielt werden. Es ist eben die Tragik, dass der maximale allgemeine Nutzen anders erreicht wird, als individuelle persönliche Ziele. Und „anders“ heißt in diesem Fall, dass sie oft grundlegend anders sind.

Was bleibt für mich?

Wenn wir die Bekämpfung der Corona-Pandemie und der Klima-Krise als eine Lösung der „Tragik der Allmende“ verstehen, wird die Schwierigkeit deutlich:

  1. Es gibt keine zentrale Institution, die bindend Athmosphäre, die Ozeane, die Tiere, die Virenverbreitung bewirtschaftet.
  2. Falsche lokale Bewirtschaftung dieser globalen Ressourcen betrifft alle – lokale Bewirtschaftung ist nicht ausreichend für den Schutz der globalen Allmende
  3. Die „Allmende“ ist global, die „Bauern“ sind global. Solange einzelne Bauern eher im Lösungsblock 1 oder 2 operieren, kann die Allmende nicht für alle sorgen oder verliert gar ihre Wirtschaftskraft.

Wenn ich nun also ebenfalls im Lösungsraum 1 oder 2 operiere und somit meine Aktivitäten zu Lasten der Allgemeinheit gestalte, bin ich also selbst nicht Teil einer nachhaltigen Lösung, sondern Teil der Überwirtschaftung. Will ich das? Kann ich wirklich wollen, dass ich Teil des Problems bin? Dass damit über die Zeit Lebewesen betroffen sind, die keine Chance hatten, die Allmende richtig zu bewirtschaften?

Klingt nicht so, als ob ich dass wollen sollte. Aber was tun? Es sollte mir ja schon mal gelingen, meinen ökologischen Fußabdruck zu verringern, andere Lebewesen zu schützen, mir Gedanken über die ganzen Allmenden zu machen auf denen ich wirtschafte und jeweil meinen Anteil zur korrekten Bewirtschaftung zu leisten – denn ich bin ziemlich oft einer der „weiteren Personen“ die auf der Allmende sind. Und Corona-mäßig heißt es grade wohl wieder auch den sprichwörtlichen Gürtel enger zu schnallen. Das sollte ich tun, indem ich die Allgemeinheit schütze, in dem ich als Übertrager unwahrscheinlicher werde. Das wiederum geht zu Lasten meine individuellen Freiheit.

Das ist alles leichter gesagt als getan.

Lesestoff

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Tragik_der_Allmende
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Rationalitätenfalle
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenendilemma