Ich habe mich einmal mit einer sehr guten und erfahrenen Coachin unterhalten, die meinte, dass Coaching eigentlich nur ein gutes Gespräch sei. Das war vielleicht etwas tief gestapelt, grundsätzlich hat mich diese Aussage aber maßgeblich in meinem Werdegang zum Coach beeinflusst. Bleibt die Frage, was ein Gespräch zu einem guten Gespräch macht – und schon sind wir mitten im Thema.
Wenn wir ChatGPT fragen, was denn ein gutes Gespräch sei, ist die Antwort überraschend gut, wie ich finde:
Ein gutes Gespräch ist ein Austausch zwischen zwei oder mehr Personen, bei dem jeder zuhört, sich gegenseitig respektiert und aufeinander eingeht. Es zeichnet sich durch Offenheit, Ehrlichkeit, Interesse an der Meinung des Gegenübers und geduldiges Zuhören aus. In einem guten Gespräch können auch kontroverse Meinungen ausgetauscht und diskutiert werden, ohne dass es zu persönlichen Angriffen kommt. Letzten Endes sollte ein gutes Gespräch zur Erweiterung des eigenen Horizonts und zum besseren Verständnis anderer Standpunkte führen.
Mir ist aufgefallen, dass in dieser Definition eines guten Gespräches das Zuhören einen sehr großen Wert einnimmt. Beim Hören lernen wir demnach, beim Sprechen würden wir also lehren. Da wir uns beim Sprechen aber selbst hören, erfahren wir auch etwas über uns selbst als Sprecher. Dies ist das Geheimnis des Coachings: Jemand, der gut zuhört (der Coach) und jemand, der beim Sprechen etwas über sich lernen möchte.
Interventionen
Wenn Ihr Euch mit Coaching beschäftigt habt, werdet Ihr vielleicht schon das Wort „Interventionen“ gelesen oder gehört haben. Das sind Gesprächsmodelle, durch die der Coach in der Hoffnung führt, dass die Coachee daraus Erkenntnisse gewinnt. Diese Modelle müssen zwingend Teil des guten Gespräches sein, denn in dem Moment, wo es es nicht zu einem Lernen auf beiden Seiten führt, findet kein Coaching mehr statt.
Nehmen wir ein Beispiel: Coach und Coachee unterhalten sich über die von der Coachee wahrgenommene, eigene Unschlüssigkeit in einer bestimmten Situation. Die Coachee seufzt: „Ach, ich weiß gar nicht, was ich tun soll.“ Wie würde das gute Gespräch jetzt weitergehen?
- Ja, das klingt schwierig – vermutlich ginge es mir nicht anders.
- Hast Du schon einmal an Idee XYZ gedacht?
- Letzte Woche war ich in einer ähnlichen Situation und habe meine Situation durch XYZ gelöst.
Nun ja, so ein mikro-Ausschnitt zeigt noch nicht, ob ein Gespräch insgesamt gut ist oder nicht. Aber unabhängig davon, ob der Vorschlag XYZ nach irgendeinem Maßstab gut oder schlecht ist, gehören die beiden letzten Möglichkeiten nicht in ein gutes Gespräch. Der Rat war nicht gefragt und die eigene Erfahrung ist nicht maßgeblich für die Situation des Gesprächspartners.
Bleibt Option 1. Warum ist diese Option absolut gesehen gut – nicht nur im Vergleich zu den zwei anderen? Das Wichtigste daran ist die Botschaft: „Ich bin bei Dir, ich höre Dich, ich vermute auch, dich zu verstehen.“ Die dann eventuell eintretende Stille in dem Gespräch gilt es dann auszuhalten und durch Augenkontakt zu ermitteln, wie das Gespräch weitergeführt werden kann. Coach: „Erzähle mir mehr von Deinen Gedanken. Hast Du vielleicht schon Ideen aber weißt noch nicht, ob die auch gut sind?“
Was also sind mögliche „Interventionen“, die hier im Rahmen eines „guten Gespräches“ passieren?
- Zuhören mit der Intention zu verstehen / zu lernen – nicht mit der Intention zu antworten.
- Dokumentieren der Ideen in passender Form (Liste, Mindmap, PostIt, Stichworte auf einem großen weißen Papier)
- Konstruktives Abklopfen der Ideen: Was gewinnt die Coachee, was würde sie Verlieren? Auf welchen Lebensbereich zahlt die Idee ein und welche Lebensbereiche sind relevant für die Coachee?
Das Gebiet der Lebensbereiche ist umfangreich und bietet einen spannenden Ausflug in die Frage „Was ist mir wichtig im Leben?“. Auch hier gibt es viele Modelle, ich habe in Bleib authentisch! bereits von einem gesprochen, dass ich recht hilfreich finde. Es gibt auch weitere, die ich in solcher Gelegenheit erläutere und die Coachee frage, ob sie sich in einem Modell besonders wiederfindet. Und da weder der Coachee noch mir Modelle helfen, die nicht passen, ist Teil des Coachings die Erarbeitung des passenden Modells. Bereits dabei lernen Coach und Coachee sehr viel und es kommt schon zu wichtigen Erkenntnissen.
Und? Hilft es?
Ob Coaching hilft oder nicht, hängt von der Studie ab, die man als Referenz heranzieht:
- Kritik an der Wirksamkeit von Coaching von Coach Karl Hosang
- Wie Coaching wirkt vom Institut Rauen
Es ist wichtig, diese Aussage zu akzeptieren, denn zumindest ich kenne keine unanfechtbare Aussage dazu. Das Gute daran ist: Sie beantwortet nicht, ob Coaching in einem spezifischen Fall hilft, sondern nur in einer angenommenen Allgemeinheit. Und so ist es schwierig, bereits nach einem Kennenlerngespräch zu sagen, ob ich als Coach helfen werde oder es nur bei den Bemühungen bleibt.
Das wirft leider auch Aufgaben auf den Coachee zurück:
- Trenne die Coach-Spreu vom Weizen, bevor Du zu einem Coach gehst und eventuell Zeit und Geld aufwendest, was nicht gut angelegt ist.
- Mache Dir Gedanken, was Abbruch- oder Endekriterien für ein Coaching sind.
- Schließe NIEMALS ein Kontingent an Coaching-Stunden ab. Sehr wohl darf und sollte der Caoch erfahrungsbasiert sagen, wieviele Sitzungen üblich sind und auch was er vorhat.
- Überlege dir, ob Du eher in einer Gruppe gecoacht werden möchtest oder einzeln. Vorteil des Gruppencoachings kann sein, auch von anderen Situationen zu lernen. Im Einzelcoaching geht der Coach natürlich intensiv auf genau Dein Thema ein.
- Überlege, ob das allgemein Vorgehen des Coaches passend für Dich ist. „Anderen hat es auch geholfen“ oder „“Schon 1 Mio überzeugte Besucher in meinen Vorträgen“ können für Dich passen, müssen aber nicht passen.
Was bleibt für mich?
Zunächst bleibt für mich, das „gute Gespräch“ zu kultivieren. Coaching hin oder her, ein gutes Gesprächen ist immer eine Bereicherung.
Und ich schwanke noch, ob ich mir das neue Buch von Schulz von Thun kaufe, aber ich streiche da schon einen Moment rum und vermutlich landet es demnächst auf meinem Lese-Sofa.
Und als passionierter Dunning-Kruger Journalist oute ich mich natürlich auch entsprechend selbstkritisch als Coach. Das kann vielleicht geschäftsschädigend sein, wenn ich nicht brust-trommeld auf der Bühne meines eigenen, erfolgreichen Lebens stehe und von mir selbst überzeugt die eigene Problemlösungskompetenz herausschreie. Aber wenigstens ist es ehrlich. Denn als Coach weiß ich nicht, ob ich helfen kann. Ich bin nur unbedingt sicher, dass ich es will.