Die Sinnlosigkeit des Unglücks


Wir fragen uns „Warum ich?“, wenn wir von einem Unglück heimgesucht werden. Während wir vielleicht noch die Ursachen der Katastrophe erklären können, finden darin aber letztendlich keinen Trost. Wir wollen aber auch eigentlich nicht die Ursache wissen, sondern das „Wozu ist es gut?“ wissen, denn es gehört zum Menschsein dazu, Ereignissen und auch Dingen einen Sinn zuzuschreiben. Den Trost finden wir nur, wenn wir einen Sinn finden, den es oft jedoch nicht gibt oder der sich uns nicht erschließt. Die Sinnlosigkeit des Unglücks schmerzt wie die Katastrophe selbst. Und nun?

Krankheiten, Unfälle, Attentate, Naturkatastrophen – einen trost-spendenden Sinn werden wir nicht finden. Was ist der Sinn von Long-Covid? Von Krebs? Welchen Sinn hat es, im Frontalaufprall mit einem Geisterfahrer seine Beine zu verlieren? Welchen Sinn hat es, dass ein Mensch Opfer eines terroristischen Anschlages wird? Welchen Sinn hat eine Sturmflut? Nichts davon hat einen Sinn, die Suche nach dem Sinn ist so sinnlos wie die Ereignisse selbst. Insbesondere führt die Suche nach dem Sinn also nicht zum Trost.

Die griechische Stoa lehrt uns, dass wir uns nur mit den Dingen beschäftigen sollen, auf die wir auch Einfluss haben. Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, sollen uns nicht weiter beschäftigen. Das ist natürlich zu kurz gefasst, denn auch die Stoa sieht ein Wachsen, Lernen und eine Entwicklung des Menschen für das gute Leben vor. So können wir uns meines Erachtens also sehr wohl auch mit den Dingen beschäftigen, auf die wir keinen Einfluss haben, wenn wir daraus etwas lernen können, uns entwickeln können, wachsen können. Wir können uns die Stoiker also sehr wohl als Menschen vorstellen, die einen aktiven Umgang mit solchen Ereignissen fanden.

Umgang mit dem Unglück und der Sinnlosigkeit des Unglücks

Der Übergang vom erlebten Unglück hin zu einem verarbeiteten Umgang mit dem Ereignis ist schwierig, kraftraubend, individuell und dauert. Der Umgang mit dem Unglück als auch mit der Sinnlosigkeit des Unglücks ist aber unausweichlich, da wir mit dem Fortschreiten der Zeit auch gleichsam eine Entwicklung durchlaufen. Wenn wir uns anschauen, was (bei einem nicht-traumatischen Ereignis) passiert, sehen wir folgende Phasen (frei nach Wiki Trauerphasen Modelle, Wiki Phasen der Anpassung nach Satir (englisch))

  1. Vor dem Ereignis ist eine Art von Stabilität, Üblichkeit
  2. Nach dem Ereignis ist Chaos, Ablehnung, Schmerz, Trauer, Zorn – intensive Gefühle
  3. Beginn der Anpassung, Umgang, Integration, Akzeptanz
  4. Stabile Situation und Leben nach dem Ereignis

Wichtig ist, dass diese Phasen durchlaufen werden, Abkürzungen sind nicht möglich. So finden wir zwar noch immer keinen Sinn in dem Ereignis, aber wir können den Sinn finden, wie wir es vor dem Ereignis getan haben: Es wird ein Leben nach dem Ereignis geben, wir können darauf vertrauen, dass wir über die Zeit lernen die neue Situation in unser Leben zu integrieren. Wir wissen auch, dass wir es selbst in der Hand haben, auch dem neuen Leben nach dem Ereignis einen Sinn geben zu können. Und wir wissen, dass wenn wir in der zweiten Phase verbleiben, das Ereignis noch nicht in unser Leben integriert haben.

Die Welt schuldet uns keinen Sinn des Lebens, wir müssen selbst danach suchen. Das Sinnlose in der Welt entbindet uns nicht von dieser Aufgabe. Aber wir können auch nach einem sinnlosen Ereignis, dass uns aus der bisherigen Bahn geworfen hat, darauf hinarbeiten, diese Phasen zu durchlaufen und den Sinn erneut zu suchen. Das mag nicht immer alleine gelingen, es ist sicher auch nicht einfach, aber die Möglichkeit zur Anpassung an (fast) jede neue Situation liegt in uns, sie ist Teil des Menschseins.

Was bleibt für mich?

Ich versuche oft trotz der scheinbaren Sinnlosigkeit des Unglücks einen Sinn zu erkennen. Das ist Teil meines Wesens solche Ereignisses zu verarbeiten, auch wenn ich weiß, dass die Suche grundsätzlich sinnlos ist. Manchmal lerne ich aber auch, den Sinn zu erkennen – ich erkenne dann zum Beispiel die Intention eines anderen Menschen, ohne dass ich dann auch zwangsläufig Verständnis dafür habe. Die grundsätzliche Unverfügbarkeit des Anderen und seiner Motivation ist aber ja Teil der Sinnlosigkeit der Welt.

Ich bin auch nicht so ganz bei Albert Camus, der in der Revolte den einzigen Ausweg aus den Sinnlosigkeit der Welt erkannte. Ich gehe da eher den Weg von C. JoyBell C., die sagte „Choose your battles wisely.“ (Wähle deine Kämpfe klug). Und damit schließt sich der Kreis zur Stoa: Es bleibt eine Kunst zu erkennen, welche Dinge ich ändern kann und welche nicht. Dazu gibt es ein interessantes Modell von Herrn Stephen Covey – vielleicht sollte ich dazu mal etwas weiter recherchieren.

Sinnlosigkeit ist nicht absolut. Was dem einen sinnlos erscheint, ist für den anderen ein fairer Ausgleich. So traf ich mal im Urlaub einen Menschen, der an einem einsamen Strand angespültes Plastik einsammelte. Er sagte, dass er das jeden Tag mache, es käme ja immer wieder was nach. Sinnlos? Ich glaube nicht.


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