Mit Sicherheit unsicher


Ich komme nicht umhin, diesen Blog-Post mit einem Allgemeinplatz zu beginnen – der geneigte Leser mag mir das bitte verzeihen. Der Wunsch nach einer sicheren Umgebung ist uns im wörtlichen Sinne in die Wiege gelegt. Sie ist Bestandteil unserer DNA, die es lebend nicht mehr gäbe, hätten wir als Menschen uns nicht um unsere Sicherheit gekümmert. Aber auch wenn unsere Umgebung mit Sicherheit unsicher ist, ist die Spezies „Mensch“ derzeit recht erfolgreich, wenn man die schiere Anzahl der Menschen auf der Erde als Indikator nimmt.

Der Mensch hat sich im Allgemeinen als recht geschickt erwiesen, in einer unsicheren Umwelt nicht nur zu überleben, sondern sogar zu prosperieren. Dennoch kann man einwenden, dass der Mensch für eine andere Umwelt gebaut ist, als wir sie heute erleben und die Unsicherheit darin fast schon zu Chaos angewachsen ist. Das ist sicher richtig – es heißt aber nur, dass wir heute vielleicht nicht absolut die allerbesten Fähigkeiten haben, uns eine sichere Umgebung zu schaffen, sondern nur sehr gute. Das festzustellen soll uns aber zunächst reichen. Es bietet den Einstieg in die Frage: „Und was machen wir nun damit?“

Halten wir also noch einmal fest, dass der Mensch erwiesenermaßen mit Unsicherheit umgehen kann und es ihm gelingt, darin gut zu leben. Ärgerlicherweise hilft es dem Individuum nur mittelviel, wenn sich seine Spezies gut entwickelt. Auch wenn ich kein Jünger des Individualismusses sondern eher Freund der These bin, dass sich Individuen nur in der sozialen Gemeinschaft entwickeln können, möchte an dieser Stelle meinen Blick auf den Einzelnen werfen: Wie kann ich mich in einer als unsicher wahrgenommenen Welt wohlfühlen?

Stufen der Unsicherheit

Ich mag ja Modelle der Wirklichkeit, wenn sie super vereinfacht einen Mikro-Aspekt herausnehmen und diesen dann schön darstellen. Ein solches Modell – ich kenne es von Epiktet – stammt aus der Stoa:

Epiktet glaubte, dass es Dinge gibt, die wir kontrollieren können und Dinge, die wir nicht kontrollieren können. Anstatt sich über die Dinge zu ärgern, die wir nicht ändern können, sollten wir uns darauf konzentrieren, was wir kontrollieren und ändern können.

Etwas verfeinert ist das Modell der Circle of Concern, auf das ich in Die Sinnlosigkeit des Unglücks schon Bezug genommen habe. Es geht aber letztendlich jeweils darum: Was kann ich beeinflussen, was nicht? Wir reden nun bei Unsicherheiten in der Regel über die Dinge, die wir nicht beeinflussen können – die uns betreffen, die aber außerhalb unserer Kontrolle sind. In Wirklichkeit ist die Welt aber nicht so eindeutig, wir können uns ja meist eben doch darum kümmern diese Unsicherheiten zu reduzieren.

Ein anderes Modell legt die Unsicherheit in größer werdende Lebenswelten um uns herum:

  1. Unsicherheiten des alltäglichen Lebens
  2. Gesellschaftliche Unsicherheiten
  3. Weltliche oder geographische Unsicherheiten

Den wenigsten Menschen obliegt die Aufgabe, sich um gesellschaftliche oder weltliche Unsicherheiten zu kümmern. Die meisten dürfen sich auf das alltägliche Leben fokusieren. Das tue ich in diesem Artikel auch, weil die gesellschaftlichen und weltlichen Unsicherheiten ja sehr wohl in das alltägliche Leben hineinscheinen.

Umgang mit Unsicherheiten

Der geneigte Leser, der bis hierher gekommen ist, wird mir vernutlich auch inhaltlich soweit gefolgt sein, dass es auch dem Individuum anheim gestellt ist, einen Umgang mit Unsicherheiten zu finden, wenn wir sie schon ärgerlicher Weise nicht weg bekommen.

Ich freue mich, wenn Menschen spirituelle Hilfe haben, diese Unsicherheit auszuhalten. Wenn sie eine höhere Macht spüren, die sie schützt und trägt. Ich bin aber nicht die Person, die diese spirituelle Hilfe transportieren kann. Meine Hilfe stammt aus dem Humanismus, der Philosophie, dem Coaching.

Meine Schlussfolgerungen zu einem guten Umgang mit Unsicherheit sind nicht unbedingt neu. Ich habe sie hier nur einmal zusammengetragen und in neue Worte verpackt. Also: Was tun, wenn wir die Unsicherheiten schon nicht wegbekommen?

  1. Anerkennen: Es gibt Unsicherheiten, die mich betreffen, die ich aber nicht kontrollieren kann.
  2. Unsicherheiten entstehen aus einem komplexen oder gar chaotischen Netz aus fragilen Abhängigkeiten. Erwarte also keine einfache Lösung und mißtraue Menschen, die eine einfache Lösung versprechen. Wenn Unsicherheiten einfach oder nur kompliziert zu lösen wären, wären sie eben grade nicht unsicher (siehe Stacey-Matrix).
  3. Gehe der Unsicherheit entgegen, umarme sie, prüfe sie. Ist in der Unsicherheit eine Angst vor Verlust enthalten? Suche auch mögliche Gewinne. Was passiert, wenn Du die Situation „aussitzt“?
  4. Überlege, ob Du Dich vorbereiten kannst. Kannst Du Dir fehlendes Wissen aneignen, eine Versicherung abschließen, mit einem halben Auge die Umgebung sondieren und weiter-wie-bisher machen?
  5. Mache dir bewusst, dass nicht alles unsicher ist. Kümmere Dich um das Sichere in Deinem Leben, sodass Dich der Rest tragen kann, wenn ein als sicher wahrgenommener Aspekt wegbricht.

Ich lese oft, dass Menschen empfohlen wird, sich selbst um ihre Widerstandsfähigkeit zu kümmern. Das Stichwort heißt „Resilienz“. Meine Empfehlung ist jedoch, meinen fünften Punkt oben so zu lesen, dass es eben nicht immer in einem selbst liegt, sondern zwischen den Menschen, die mir durch ihre Existenz Sicherheit geben. Resilient bin ich nicht alleine.

Was bleibt für mich?

Unangenehm an der Unsicherheit ist zum einen natürlich die Unsicherheit selbst, zum anderen aber auch unsere Einstellung dazu. Natürlich bin ich auch nicht davor gefeit, erstmal in ein psychisches Loch zu fallen, wenn etwas Dramatisches passiert. Vielleicht ist also der wichtigste Punkt meiner Liste oben der dort nicht genannte folgende:

Sei nicht so streng mit Dir. Sei großzügig, lasse Dir Zeit. Sei aber auch beharrlich und gehe jeden Tag einen Schritt in Deiner Entwicklung weiter.

Wichtig ist dabei, aus dem Gefühl der Ohnmacht, das eine als unbeeinflussbare, unsichere Umwelt in uns selbst entstehen lässt, herauszuwachsen. Schwierig, aber essenziell ist das Empfinden der eigenen Autonomie und Wirksamkeit, um in der Unsicherheit zu bestehen. Damit können wir uns stärken, um die bestehende Unsicherheit besser aushalten zu können

Und nun zum Abschluss noch ein Allgemeinplatz. Er ist eher noch allgemeiner, aber irgendwie auch richtig:

Nichts ist so beständig wie der Wandel.

Und insofern bin ich sicher, dass es für mich noch viele Unsicherheiten und daraus resultierende Änderungen geben wird. Das wird Narben hinterlassen, aber ich werde trotz dieser Schmerzen auch Gutes erfahren. Ich will diese Schmerzen nicht erleiden, ich lerne lieber an der Freude. Aber ich kann die Schmerzen auch nicht verhindern. Und ich freue mich an dem Guten, dass mir unverhofft zugetragen wird.

Es wird auch ungewollte Änderungen geben, die ich zunächst mit Sorge betrachte und die sich erst später als positive Entwicklung herausstellen werden. Und in einer ruhigen Minute gestehe ich dann vielleicht auch ein, dass ich das erst im Nachhinein so verinnerlichen konnte.

Schmökerkram

Geprüft am 15.11.2023, ich mache mir den Inhalt nicht zueigen:

  1. https://katrinlinzbach.de/wahre-sicherheit-kommt-nur-aus-uns-selbst-heraus/
  2. https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/39120-mit-der-unsicherheit-leben-aber-wie.html
  3. https://ethik-heute.org/was-gibt-uns-halt-in-krisenzeiten/
  4. https://dgvn.de/publications/PDFs/UN_Berichte/HDR/HDR-2022.pdf
  5. https://www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/76634/die-dimensionen-des-sicherheitsbegriffs/
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