Wer sich mit dem Thema „Resilienz“ bereits beschäftigt hat, kennt die Hintergründe: Die Idee ist, dass der Mensch sich vorbereiten kann und soll, um mit schwierigen Situationen des Lebens besser umgehen zu können. Ziel ist, den negativen Einfluss auf die individuelle Gesundheit – etwa die psychische Verfassung – nach einer Phase der Anpassung wieder zu reduzieren. Aber es gibt die zwei Seiten der Resilienz, vergleichbar mit den zwei Seiten einer Medaille.
Mit dem Begriff Resilienz ist im Wortsinne die Eigenschaft einer Materie gemeint, nach einer Krafteinwirkung wieder in die ursprüngliche Form zurückzukehren. Auf einen Menschen übertragen ist damit gemeint, dass er nach einem Ereignis wieder zu seinem ursprünglichem Wesen zurückfindet. Im Gegensatz zu den inhärenten Eigenschaften unbelebter Materie ist die Idee bei menschlicher Resilienz, dass diese Eigenschaft (bis zu einem gewissen Grad) erlernbar und trainierbar ist.
Eine größere Internetsuchmaschine bietet zu dem Begriff Resilienz etwa 13Mio Einträge an. Ein recht großer Anteil handelt davon, wie man etwa durch Teilnahme an einem Kurs die Resilienz verbessern kann. Ziel dieser Lehrinhalte ist, die anfänglichen, kräftezehrenden Phasen nach einem Ereignis konstruktiver und somit „aufrechter“ zu durchlaufen. Solche Phasen sind je nach Modell (Internetsuche nach „Phasen einer Änderung„) etwa: Schock, Ablehnung, Einlenken, Adaption und schlussendlich das Einschwingen in die neue Situation nach dem Ereignis.
Kurse helfen hauptsächlich vorbereitend, Teile können auch im Akutfall helfen. Ohne Vorbereitung und einer der Situation nicht gerechtwerdenden Ausprägung der individuellen Resilienz, kann es dazu führen, dass der Mensch ins Straucheln gerät. In solchem Fall ist eine menschliche Betreuung – vielleicht sogar eine ärztliche Hilfe nötig.
Die zweite Seite
So weit – so üblich, und vielfach nachzulesen im Internet. Schauen wir uns nun aber die zweite Seite der Resilienz-Medaille an. Die Idee der individuellen Sorge um die Resilienz übersieht leicht, dass die Schuld an einer mangelnden Resilienz ebenfalls individualisiert wird. Du kommst mit dieser Situation nicht zurecht? Dann hast Du wohl auch noch in Deiner Resilienz-Vorsorge versagt. Zu wenig, zu schlecht, inhaltlich falsch – was auch immer.
Besser wäre es, Resilienz aus einer Gruppe von Menschen (Familie, Ehepaar, Team aus Kollegen, Gemeinde…) zu denken und daraus abzuleiten, was der Einzelne darin braucht. Denn nichts hilft einem betroffenen Menschen mehr als andere, zugewandte Menschen. Auch dazu gibt es natürlich Kurse, einen Einstieg findet Ihr über den Suchbegriff „Kollektive Resilienz (Ecosia ChatBot)„. Dieser Ansatz geht eben von einer resilienten Gruppe aus und leitet daraus ab, wie die Individuen darin leben.
Resilienz-Kurse sind also gut, richtig, hilfreich, müssen meiner Meinung nach aber aus einen Gruppen-Kontext gedacht werden. Eine Überbetonung der individuellen Zuständigkeit wird der Komplexität des Themas nicht gerecht.
Anpassung? Nicht unbedingt!
Auch wenn der Artikel natürlich mal wieder wie immer schon jetzt zu lang ist, gestattet mir noch eine weitere Anmerkung: In der zweiten Phase nach „meinem“ Modell von oben steht die Ablehnung der neuen Situation im Vordergrund. Nach dieser Phase können wir auch abbiegen, so dass nicht das Einlenken als nächste Phase kommt, sondern die Rebellion. Das steht so leider nicht in den klassischen Ratgebern der Resilienz, die immer nur Anpassung predigen.
Die Rebellion klingt zunächst schlimm und ist irgendwie auch das ungeliebte Kind in diesem Kontext, aber nur durch die Rebellion können wir der Änderung ein Momentum entgegensetzen: Wollen wir uns eigentlich in die geänderte Situation wieder einfügen? Wollen wir die nächste Eskalation einer übergriffigen Führungskraft immer noch akzeptieren? Wollen wir den nächsten Aufmarsch nationalsozialistischer Parteien wieder hinnehmen? Wollen wir hinnehmen, dass Google und Microsoft jetzt wieder anfangen, Atomkraftwerke zu bauen, um KI-Systeme als Commodity-Software zu etablieren?
So setzt die Rebellion Kräfte frei, die die Richtung einer Veränderung beeinflussen kann. Aber das ist ja auch ein konstruktiver Umgang mit einer Änderung. Das Wesen der Rebellion ist super spannend und würde den Kontext der Resilienz sicher sprengen. Vielleicht sollte ich dazu mal etwas schreiben…
Was bleibt für mich?
Rebellion oder Anpassung? Diese zwei Pole beschreiben im Leben eher ein Kontinuum. Die Pole werden in der Regel nicht der gesündeste Umgang mit einer Änderung sein, sondern irgendwas dazwischen. Die Kunst besteht wie so oft darin, die eigenen Ressourcen klug einzusetzen und sich an der einen Stelle widerborstig aufzustellen (die Rebellion) und an anderer Stelle eher den Schwung zu nutzen und sogar auf den Zug der Änderung aufzuspringen. Was passt wie und wann und bei welcher Situation? Das kann ich Euch im Gegensatz zu den unzähligen Empfehlungen im Internet nicht sagen – Ich kenne Euch ja (noch) gar nicht. Aber ich kann Euch helfen, es mit Euch und für Euch passend und abseits der Üblickeiten eines Insta-Posts herauszufinden.
Und manchmal hilft einfach auch der gute alte Deck-Chair mit einem Glas GetränkDeinerWahl, um eine unangenehme Situation wieder abzuschütteln.