Das hast Du missverstanden!


Ein Missverständnis ist ein gestörter Verständigungsprozess. Der Sprecher sagt etwas vor seinem persönlichem Hintergrund, der Zuhörer versteht es vor seinem Hintergrund. Sind die Hintergründe ähnlich genug, versteht der Zuhörer das Gesagte. Schwierig wird es mit dem Verstehen, wenn der Hintergrund des Sprechers unbekannt oder deutlich unterschiedlich ist. Hilfreich ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Sprecher und Zuhörer: Bei der Aussage „Das hast Du missverstanden!“ ist es bereits gestört, geht der Sprecher doch von der Einseitigkeit der Ursache aus.

Prinzip des Missverständnisses

In der Kommunikation geht es um die Übermittlung von Informationen zwischen (mindestens) zwei Personen.

Kommunikation ist die Übertragung von Information. Ein Missverständnis entsteht, wenn der Zuhörer nicht versteht, was der Sprecher meinte.

Ich verzichte bei dieser Definition darauf, andere Formen der Kommunikation wie den Vortrag (ein Sprecher, mehrere Hörer) oder den Tweet zu benennen. Der Leser möge sich Entsprechendes ableiten.

In der Kommunikation haben wir eine lange Kette bis das Bild aus dem eigenen Kopf (bestenfalls) im Kopf des Zuhörers ankommt:

Kommunikation eines Bildes im eigenen Kopf zum Bild des Zuhörers

Schauen wir uns an, was wir tun können, um diesen langen, empfindlichen Weg möglichst robust zu gestalten und mögliche Störungen zu erkennen.

Robustheit der Kommunikation

Mit der Robustheit der Kommunikation meine ich, dass der Sprecher alles tun sollte, was in seiner Macht steht, damit die Kommunikation zum Erfolg wird.

Dazu sind verschiedene Schritte erforderlich:

  1. Der Sprecher muss selbst ein klares Bild seiner Nachricht haben. Hilfreich ist, wenn der Sprecher seine Nachricht in drei Sätzen umreißen kann.
  2. Der Sprachschatz des Sprechers und seine Geschicklichkeit diesen einzusetzen, beeinflusst die Nachricht.
  3. Je nach Kommunikationskanal können Gestik, Intonation, Kleidung und Habitus die Übertragung der Nachricht unterstützen und die Robustheit erhöhen. Der Sprecher sollte einen geeigneten Kommunikationskanal wählen. Das Gegenteil eines geeigneten Kanals ist Twitter zur Androhung eines Krieges.
  4. Der Sprecher sollte sicherstellen, dass der Kommunikationskanal technisch oder physikalisch störungsarm ist (Lautstärke, Nebengeräusche, Unterbrechungen)
  5. Der Sprecher muss seine Nachricht auf den Empfänger abstimmen. Dazu wählt er Worte, die dem Empfänger verständlich sind und sich vor dessen Hintergrund zu einem ähnlichen Bild formen.

Nicht immer geht es darum, ein ähnliches Bild zu erzeugen. Sehr oft möchte der Sprecher auch bestimmte Bilder beim Empfänger induzieren. Der Sprecher nutzt dazu bestimmte Worte, die vor dem Hintergrund des Hörers eine Färbung des Gesagten bewirken. Ich empfehle hierzu explizit den Artikel Jedes Wort setzt einen Rahmen aus der ZEIT.

Es ist Aufgabe des Sprechers, die Kommunikation robust zu gestalten und letztendlich Aufgabe des (aktiven) Zuhörers, die Robustheit einzufordern und zu prüfen.

Der aktive Zuhörer

So wie der Sprecher seine Seite der Kommunikation möglichs eingängig gestalten muss, ist es in der Verantwortung des Zuhörers, das Gesprochene „intentional“ zu verstehen. Daraus ergibt sich für den Zuhörer:

  1. Kenne ich alle Worte, die der Sprecher verwendet hat? Bedeuten diese Worte bei ihm und mir das Gleiche?
  2. Wenn der Kanal weitere Aspekte der Kommunikation wie Gestik oder Itonation verhindert: Kann ich diese Aspekte woanders her bekommen? Kann sich daraus das Wesen der Nachricht verändern?
  3. Insbesondere – aber nicht  nur – wenn der Kommunikationskanal gestört ist, sollte ich das Verstandene in meinen Worten und Gesten wiederholen und um Bestätigung bitten.

Wenn der Zuhörer den Sprecher kennt, dann kann er vermutlich auch die mögliche Intention des Sprechers einschätzen. Vor diesem Hintegrund kann der Empänger der Nachricht also auch noch einmal sein Bild in Gedanken zurechtfeilen.

Ein Missverständnis, dass keins ist

Ich habe kürzlich einen Tweet von Dunja Hayali gelesen, den ich sehr prägnant für das Thema dieses Artikels fand: Missverständnisse sind oft gar keine – Sprecher und Zuhörer meinen das Gleiche, ggf.  nur andere Aspekte. Das Missverständnis besteht darin, dass sie nicht wissen, das sie vom Gleichen sprechen.

Ich hatte mir in Vorbereitung auf diesen Artikel noch ein ähnliches Bild überlegt und wollte ursprünglich auch den Artikel so benennen: Die Wahrheit ist ein Würfel. Stellen wir uns vor, zu viert um einem Tisch zu sitzen, auf dem ein Würfel liegt. Dann kann jeder je nach Ausrichtung des Würfels ein oder zwei Seitenflächen und wahrscheinlich auch die Oberseite sehen.

Wenn wir uns nun gegenseitig beschreiben, was wir sehen, wird es Überschneidungen geben. Wir werden aber auch eine Seite sehen, die andere nicht sehen.

Auch dies kann ein Missverständnis sein: Wir beschreiben alle den Würfel, sehen jedoch nur unterschiedliche Aspekte. Wir sehen nicht, dass sie zu einem gemeinsamen Sachverhalt gehören. Möglicherweise können nicht einmal alle Betrachter zusammen den Sachverhalt vollständig erfassen: In unserem Beispiel sieht niemand die Unterseite!

Ich bin mir sicher, dass bei Themen, die noch komplexer sind als ein Würfel, die folgenden Möglichkeiten auch bestehen:

  1. Nicht alle haben ein vollständiges Bild des Sachverhaltes.
  2. Wir sprechen dennoch darüber, als ob wir es hätten.
  3. Es kann Aspekte des Sachverhaltes geben, die noch keiner kennt.
  4. Wir tun so, als ob der zugehörige Aspekt eines Anderen nicht dazu gehört.
  5. Der Aspekt eines Anderen gehört nicht dazu, er/sie verknüpft ihn aber.
  6. Die bekannten Aspekte werden von starken Sprechern vertreten, der fehlende Aspekt hat keinen Sprecher.

Die Diskussionen werden sich nun sicher am Unterschied zwischen dem Punkt 4. und 5.  entzünden: Gehört dazu oder nicht? Und was bedeutet „dazugehören“? Ein Aspekt, den wir zwingend mitbetrachten müssen oder auch separat untersuchen können? Oder wir hängen schon einmal Kreuze in den Ämtern auf, weil der Islam ja nicht zu Deutschland gehört und es insofern auch keine Moslems geben könnte, die auf Ämter gehen könnten?

Ich glaube, dass dieses Prinzip der Zündstoff der aktuellen politischen Auseinandersetzungen ist.

Was bleibt für mich?

Unerkannte Missverständnisse sind Gift für eine Beziehung. Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht die Herrschaft über uns übernehmen. Also gibt es drei Dinge für mich zu tun:

  1. Ich versuche so zu sprechen, dass meine Zuhörer mich verstehen können.
  2. Ich wäge ab, ob das Bild, dass der Sprecher bei mir erzeugen will, in mein Bilderalbum passt. Vertraue ich ihm, bin ich eher geneigt, es einzubinden.
  3. Ich versuche herauszufinden, ob wir eigentlich vom Gleichen sprechen.