Moralischer Kompass


Stellen Sie sich einen Abendspaziergang an einem lauen Sommerabend vor. Sie kommen an einem Teich vorbei und bemerken, das darin ein Kind zu ertrinken droht. Das kommt Ihnen bekannt vor? Hoffentlich nur als Gedankenexperiment von Peter Singer „Kind im Teich“, dass wir auch schon woanders rezensiert finden. Natürlich habe ich dem etwas hinzuzufügen und nenne das „Moralischer Kompass“ – ebenfalls ein Begriff der nicht neu ist.

Kommen wir zurück zu dem hypothetischen Kind. Was tun? Es ergeben sich spontan folgende Optionen:

  1. Ausrede überlegen, Weitergehen und Ignorieren
  2. Reingehen, Kind retten – vielleicht vorher noch schnell die guten Schuhe ausziehen, Autoschlüssel und Smartphone aus den Taschen nehmen.
  3. Jemanden suchen, der reingehen würde

Waren Sie irritiert, als sie Option 1 gelesen haben? „Das kann der doch nicht ernst meinen!“, haben sie vielleicht gedacht? Prima, dann funktioniert Ihr moralischer Kompass schon einmal grundsätzlich: Sie haben die theoretischen Optionen nämlich schon bewertet.

Gehen wir zu Option 2 und begegnen dazwischen dem „guten Grund“: Vielleicht wollen sie ja, aber können nicht (gut) schwimmen oder haben ein Gesundheitsproblem? Dann verschiebt sich die „Ausrede“ der Option 1 hin zu einem „guten Grund“ – also einem Unterpunkt zu 1. etwa der Art „Ich würd ja gerne, aber ich kann ja nicht.“ Dann sollten Sie sich mit Option 3 beschäftigen und jemanden mit der Lösung beauftragen, der sich damit auskennt. Wenn Sie einfach Option 2 wählen, dann brauchen Sie nicht weiter lesen.

Kommen wir nun zum „guten Grund“. Das ist ein ärgerlicher Geselle, da er die Entscheidung schwierig und uneindeutig macht: Was dem einen ein guter Grund ist, ist dem anderen eine schlechte Ausrede. Und schon sind wir mitten im Mittelmeer und diskutieren über die zahlreichen Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, weil eben die Auswahl der Optionen durch die unterschiedlichen Teich-Spaziergänger unterschiedlich bewertet werden.

Was bleibt für mich?

Ich hoffe, dass ich mich für das Kind entscheide, wenn ich an dem Teich vorbei komme. Und was mache ich mit den Menschen im Mittelmeer? Habe ich einen „guten Grund“ sie nicht zu retten? Habe ich jemanden gebeten, das für mich zu übernehmen? Oder streiten sich die beteiligten Helfer nur?

Das Problem ist also: Wie kann ich Gutes tun, ohne ausgenutzt zu werden oder mich ob der Fülle des Bedarfes zu überfordern? Da kann der Kompass schon mal ins Schlingern geraten. Aber das Gute ist: Das Gute wird niemals etwas Schlechtes, auch nicht, wenn man es tut.