Der Vorteil vom Schreiben des Schreibens wegen ist, dass ich kein Problem damit habe, einen Anti-Click-Bait zu nutzen. „Ansichtssache“ werden diejenigen vielleicht denken, die mit Schreiben ihr Geld verdienen müssen. Sehr guter Einwand! Und damit herzlich willkommen zu diesem Blog-Post.
Das Prinzip der Ansichtssache ist weitaus hilfreicher, um nur zum bloßen Wegwischen eines anderes Standpunktes missbraucht zu werden: Es könnte doch sein, dass wir tatsächlich vom Gleichen sprechen, nur unterschiedliche Facetten sehen.
Schauen wir uns das am Beispiel der geplanten Fabrik des Automobilkonzerns TESLA in Brandenburg an. Noch konkreter: Ein Artikel der ZEIT berichtet über die besondere Situation, dass im Namen des Umweltschutzes der Bau der Fabrik gefordert und gleichzeitig gestoppt werden muss: Die einen Umweltschützer sagen also: Lasst uns diese Fabrik bauen und die anderen Umweltschützer fordern, den Bau zu stoppen. Wie denn nun? Wie geht denn beides gleichzeitig?
Außen stehend erkennt man leicht, dass beide grundsätzlich das Gleiche wollen: Den Schutz der Natur. Sie betrachten jedoch unterschiedliche Facetten des Gleichen und dann gerät das Gemeinsame manchmal aus dem Blickfeld. Es entbrennt ein Streit um die Deutungshoheit des Begriffes und die jeweils andere Partei fordert das Falsche, weil das Eigene ja das Richtige ist. Unfaire Kommunikationstechniken – bewusst oder unbewusst eingesetzt – lassen die Situation eskalieren, die uneinsichtigen jeweiligen Anderen sind zu dumm die Richtigkeit der eigenen Position zu erkennen und schon werden Bäume besetzt, Hundertschaften Polizei in den Wald geschickt, Verletzte, Tote – Krieg – Verderben…
Nun, vielleicht habe ich grade die Eskalation in der Kohle-Wald Diskussion auch für den weiteren Verlauf der TESLA-Wald Diskussion vorweggenommen. Und das wo die TESLA-Diskussion aber im Namen des Umweltschutzes geführt würde und nicht von Parteien mit naturgemäß unterschiedlichen Zielen.
Das Bild vom Würfel
Wir können die Beispiele auf eine grundsätzliche Situation – ein Schema – zurückführen. Stellen wir uns vor, wir säßen mit drei weiteren Menschen um einen kleinen, runden Bistro-Tisch herum. Mitten auf dem Tisch liegt ein Würfel mit den Zahlen eins bis sechs auf den Seiten. Wie würden die Menschen diesen Würfel nun beschreiben?
Jeder kann nur maximal drei Seiten sehen – die können sie benennen. Alle können sich vermutlich auf die Zahl einigen, die auf der Oberseite zu sehen ist: Alle können sie sehen und jeder weiß, dass die anderen sie sehen können.
Jetzt wird es interessant: die Seitenflächen können nicht alle sehen sondern nur Untergruppen der Tischgäste. Wenn alle wahrheitsgemäß berichten, lassen sich fünf Seiten aus dem gemeinsamen Wissen konstruieren. Das erfordert jedoch Vertrauen. Es könnten sich ja auch zwei Gäste verbünden und andere Behauptungen über Seiten aufstellen, die nur ihnen zugewandt sind.
Gesprächsanregend ist auch, wenn ein Gast über eine Seite etwas anderes behauptet, als der andere Gast, der dieser Seite zugewandt ist: Wem sollen die anderen beiden Gäste glauben?
Der Profi weiß, dass bei Würfeln die Augenzahlen gegenüberliegender Seiten addiert immer sieben ergeben. Wir können also Annahmen über die uns abgewandten Seiten treffen. Aber treffen sie auch auf diesen Würfel zu? Wir wissen es nicht, wir müssen vertrauen. Wir könnten auch behaupten, dass es ja bei jedem Würfel so sei und daher auch bei diesem. Das bleibt aber eine Behauptung, sofern dieser Würfel noch keinen Beweis dafür erbracht hat.
Auf dieses Beispiel mit dem Würfel auf dem Tisch lassen sich viele Gesprächssituationen zurückführen. Ihr kenn solche Diskussionen vielleicht auch, in denen Annahmen, Wissen und strategische Lügen lustig hin und her kommuniziert werden. Mit diesem Modell könnt Ihr das nun leicht analysieren und Euch Eure Gedanken machen.
Der TESLA-Wald-Würfel
Was bedeutet das nun für das TESLA-Beispiel?
- Das Thema „Umweltschutz“ entspricht dem Würfel mit seinen unterschiedlichen Seiten.
- Eine Partei kann Annahmen über die Sicht der anderen treffen, sie muss aber vertrauen. Manches kann sie auch prüfen.
- Die Parteien, könnten sich zunächst einmal darauf einigen, dass Ihnen beiden der Umweltschutz am Herzen liegt und so den einen Würfel herauf beschwören.
- Vielleicht können sie offene Ziele definieren und unterschiedliche Wege zulassen.
Das Schwierigste ist der Punkt 4. Er erfordert Phantasie und Offenheit, den eigenen Denkkreis zu verlassen. Kann man einen Wald umpflanzen oder seine Bewohner umsiedeln? Kann ich den Baum X, den ich hier roden will, gegen den Baum Y aufwiegen, den ich woanders anpflanze? Was muss passieren, damit das geht? Kann ich mir eine Art Lastenausgleich für Wald und Bewohner vorstellen? Was gewinne ich, was verliere ich jeweils und wer gewinnt und verliert das?
Was bleibt für mich?
Ich mag das Würfel-Beispiel. Und ich versuche meinen Diskussionspartner in ein gemeinsames Ganzes einzubinden. Wenn wir an der Lösung gemeinsam arbeiten, ist es eben auch einfacher, als wenn jeder an seiner Lösung arbeitet und dann eben doch nur halber Kram bei rauskommt.
Das gelingt nicht immer und es gibt 1000 Gründe, an denen die Schaffung eines gemeinsamen Zieles scheitert. Der wichtigste ist, dass es vielleicht kein gemeinsames Ziel gibt. Der leider mindestens ebenso häufige Grund ist, dass der Diskussionspartner leider den Gewinn des gemeinsamen Zieles nicht erkennt und stumpf auf seinem Standpunkt bleibt: Ich will aber (nicht). Und dann?
Sucht nach anderen Ansätzen: Sprecht mit anderen, sucht weitere Argumente und seid wachsam in den rhetorischen Mitteln Eurer Diskussionspartner. Bedenkt, dass Ihr vielleicht eine faire Diskussion wollt, der Diskussionspartner aber andere Mechanismen nutzt. Ihr bleibt aber bitte schön sauber in der Diskussion, das ist keine Ansichtssache, sondern Ehrensache.