Wenn Ihr die Medien in den letzten Tagen verfolgt habt, werdet Ihr festgestellt haben, dass anlässlich des Todesfalls von George Floyd in den USA zahlreiche Reportagen, Videos, Posts zu sehen waren. Rassismus ist ein uraltes Phänomen, das derzeit eine hohes Aufmerksamkeit erfährt. Wie soll sich ein zwar selbstkritischer, aber privilegierter Weißer dazu äußern? Entspricht für ihn nicht das Reden über Rassismus der Fragestellung hinter What is it like to be a bat?
Gemäß diesem grundsätzlichen Problem der Philosopie können wir nicht gleichzeitig aus der Innensicht und aus der Außensicht eine Situation wahrnehmen. Somit kann ich eben Rassismus nicht aus der Sicht des Diskriminierten erfühlen. Das bedeutet nach meinem Verständnis als Wichtigstes, dass für mich und die meisten meiner weißen Schwestern und Brüder gelten sollte, weniger zu reden als vielmehr zuzuhören, bevor wir dann gemeinsam aktiv werden. Damit könnte dieser Artikel enden. Ich möchte aber darüber hinaus noch ein paar persönliche Gedanken zu einem entsprechenden Artikel aus der ZEIT teilen.
Rezo hat in diesem Artikel sehr gut dargestellt, dass Influencer mit der Reichweite ihrer Postings eine gewisse Verantwortung in dem tragen, was sie publizieren. Er hat dies am Beispiel der aktuellen solidarischen Postings in sozialen Netzwerken beschrieben. Ich stimme Rezos Ausführungen inhaltlich zu, möchte jedoch seine Argumentationsweise kritisieren.
Inhalt gut, Argumentation nicht so…
In seinem Artikel nutzt Rezo ein unschönes, jedoch verbreitetes Prinzip der Rhetorik, das ich kurz darstellen möchte:
Also entweder sieht man bei keinem dieser Kandidaten [Influencer, Anm. des Autors] einen Auftrag zur Thematisierung gesellschaftlicher Themen oder bei allen.
Die Kritik an dieser Argumentationsweise ist komplett unabhängig vom Thema. Die Kritik ist, dass die Influencer unabhängig voneinander sind, wir sie also nicht über einen Kamm scheren können. Wenn ein Influencer sich zu einem Thema äußert, muss ein anderer Influencer das nicht ebenfalls tun. Er kann sehr wohl daraus lernen, aber es gibt keinen logischen Grund, es ihm gleich zu tun. Auch eine dritte Person kann nicht erwarten, dass Influencer A sich äußert, weil Influencer B es auch getan hat. Es besteht kein echt-kausaler Zusammenhang. Ich muss einräumen: Die Wirklichkeit sieht anders aus und der eine oder andere Influencer mag sich gedrängt fühlen, zu einem Thema Stellung zu nehmen, dass nicht seins ist. Rezo hat in seinem Artikel ein Beispiel gegeben. Dennoch: Die Zuständigkeit und die Verantwortung bleibt bei den jeweiligen Influencern selbst.
Auch aus der Wichtigkeit eines Themas lässt sich ebenfalls nicht pauschal ableiten, das ein Influencer seine Meinung publizieren müsste. Auch ich muss einräumen, das Ausmaß des Rassismus nur erahnen zu können. Ich finde es daher in Ordnung zu sagen, dass man zu einem Thema nichts beitragen kann und leite daraus einen Grund mehr ab, zuzuhören. Zum Thema Nachhaltigkeit habe Euch allerdings auch schon geschrieben – wissend, dass ich weit von kompetent in diesem Thema bin. Meine Aussage war, dass ich nur mittelmäßig gut darin bin, den gewohnten Alltag umzustellen.
Selbstverständlich dürfen wir eine Meinung haben und sie äußern. Aber wer zuhört und Empathie zeigt, statt von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen, zeigt meines Erachtens im derzeitigen Überbieten der Empörung größere Stärke. Mein Wunsch ist, dass wir überlegen, wem die Bühne zu diesem Thema jetzt und schon lange gebührt. Wir sollten also vergleichbar, wie zur Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei CoVid19/Corona vorgeschlagen, die Bühne denjenigen überlassen, die wirklich etwas zu sagen haben. Einen Ansatz zum Hinterfragen der eigenen, weißen Welt findet man zum Beispiel in den Studien zum „Weißsein„.
Was bleibt für mich?
Maul halten, Augen zu und durch ist beim Thema Rassismus komplett falsch, da stimme ich Rezo 100%ig zu. Reden über Rassismus ist nicht viel besser. Maul halten und Zuhören wäre stattdessen für die meisten von den privilegierten Weißen ein guter Einstig ins Thema. Noch besser: Maul halten, zuhören und Partei für einen Diskriminierten ergreifen. Fast perfekt: Das eigene Weißsein hinterfragen, Maul halten, zuhören und Partei für einen Diskriminierten ergreifen.
Auch Rezos Fazit ist gut. Ernsthafte Auseinandersetzung statt Hashtags:
Und wenn wir uns […] alle die Mühe machen, bei Fehlern konstruktiv zu kritisieren, sollten sich sowohl die alten als auch die neuen Influencer den Aufwand machen, den es bedeutet, nicht nur einen Trending-Hashtag zu posten, sondern sich mit der jeweiligen Thematik sinnvoll auseinanderzusetzen.
Alles in Allem: Guter Artikel, Rezo, Danke dafür.
Zitate aus: Maulhalten gilt nicht mehr, Eine Kolumne von Rezo vom 5.6.2020 in der ZEIT