Was soll ich tun?


Immanuel Kant wäre in diesem Jahr 300 Jahre alt geworden. Seine Frage „Was soll ich tun?“ ist noch immer aktuell und hat sogar noch ein paar Lesarten hinzugewonnen. Nach Kant handelt sie von einem moralischen Kompass, ich sehe darüberhinaus noch weitere.

Das „Sollen“ in Kants Frage ist die Suche nach einer externen Entscheidung, welche der möglichen Handlungsoptionen ich denn auswähle. Kant hat sich damit beschäftigt, ob es Richtlinien für solche Entscheidungen gibt, die nicht an Gott oder Gesetze gebunden sind. Aus seinem Postulat, dass die Freiheit des Menschen eine Art letzte Begründung für etwas sein kann, konnte er seinen berühmten Imperativ ableiten. Dieser Imperativ hat keine Vorbedingung mehr, es gibt kein „wenn – dann“ sondern nur noch ein „mach es so“.

Der Imperativ…

Hand­le nur nach der­je­ni­gen Ma­xi­me, durch die zu zu­gleich wol­len kannst, dass sie ein all­ge­mei­nes Ge­setz wer­de.

So ergibt sich für Kant in seiner Frage nach dem Tun ein Sollen, eine Pflicht, abgeleitet aus der Freiheit, meine Handlungen so zu wählen, dass sie vernünftigerweise universell richtig sind. Sie entsteht, weil ich eben nicht alleine bin, sondern eingebettet in einer Gesellschaft, in einem Öksosystem leben möchte. Ich erlege mir diese Pflicht aus Vernunftsgründen selber auf. Sie ist quasi eine Selbstbeschränkung und ein Kompass, der mir aus einer Anzahl von Optionen eine gute Entscheidung ausdeutet. Bevor ich also entscheide, den Apfel im Supermarkt zu klauen, sollte ich überlegen, wie diese Geschichte ausgeht, wenn das alle machen.

Nun ist es ja nicht so, dass alle Kants Imperativ folgen würden. Es soll vereinzelt Ladendiebstähle geben, Präsidenten finden es gut, Frauen in den Schritt zu greifen oder Widersacher zu vergiften. Jeder der Akteure fände es vermutlich nicht in Ordnung, wenn ihm das Gleiche widerfahren würde. Diesem Widerspruch kann auf zwei Arten entgegentreten:

  1. Nicht alle Menschen sind gleich, manche sind gleicher => es gibt Handlungen, die nur ein Teil der Gemeinschaft durchführen darf.
  2. Hoppla, da muss ich wohl meine Handlung noch einmal überdenken.

Wenn ich Ungleichheit erlaube, muss ich davon ausgehen, dass auch ich irgendwann benachteiligt bin von einer Handlung Dritter. Kant nahm an, dass die Vernunft die Ungleichheit also verbieten würde, eine Handlung müsste also universell richtig sein. Es gibt noch einen weiteren Trick, der dann aus der unteren Schublade des Populismus kommt.

Grenzen der Kant’schen Ethik

Das Problem mit der Allgemeinheit eines Gesetzes beginnt, wenn Menschen unterschiedliche Vorstellungen von der Allgemeinheit haben, für die das Gesetz aus dem Imperativ gelten soll. Und so hat die Pflichtethik von Kant, die auf dem Imperativ basiert und die ich für eine sehr gute Basis für jede Diskussion halte, ihre Schwierigkeiten an den Grenzen eines Systems: Der Familie, der Firma, des Heimatlandes. Die Konflikte entstehen, wenn ich ein anderes Verständnis von der Allgemeinheit habe, als mein Gesprächspartner.  So könnte ich ein anderes Verständnis von der Verpflichtung zur Mitarbeit im Haushalt im System „meine Familie“ haben, als Menschen außerhalb meiner Familie. Menschen außerhalb meiner Familie könnten also einwenden, dass sie der Abwasch nach dem Kochen nicht betrifft.

Es gilt also zu hinterfragen, wenn von „wir / uns“ oder „die“ gesprochen wird: Hier findet oft eine Gruppierung statt mit dem Ziel, dass bestimmte Regeln eben nicht mehr allgemeingültig sind. Die Frage ist, ob diese Unterscheidung moralisch vertretbar ist.

Gilt nicht für Nicht-Menschen

Und jetzt kommt die große Keule: Kants Imperativ gilt weiterhin universell, wenn ich die Menschen außerhalb meines Systems als Nicht-Menschen darstelle. Gängig sind Kakerlaken, Schweine, Würmer etc. Wenn die Allgemeinheit, von der ich spreche, Menschen sind (wir), dann kann ich mit dem Kategorischen Imperativ argumentieren, wenn ich zugleich diejenigen außerhalb meines Wir das Menschsein abspreche. Schon kann ich mich für das Re-Migrieren einsetzen, ich kann Juden abschlachten, bestimmte Volksgruppen zur Zwangsarbeit verpflichten. Meine Entscheidungen gelten ja immer noch für alle Menschen! Kakerlaken darf man ja zertreten. Easy.

Wenn wir also hören, dass Menschen entmenschlicht werden, ist der Schritt nicht weit, dass die Kant’sche Ethik misbraucht wird.

Weniger bekannt ist übrigens, dass der Mensch auch in einer bestimmten Interpretation von Kants Philosophie dem Tierwohl verpflichtet ist. Die Aussage, dass Tiere einen Wert haben und somit substituierbar sind, greift zu kurz. Ich empfehle den grade verlinkten Text und die weitere Recherche zu Tierethik.

Was bleibt für mich?

Der Kategorische Imperativ ist mein End-Boss. Vermutlich würde Kant einräumen, dass es auch nicht immer leicht ist, sich daran zu halten. Hat aber ja auch keiner gesagt, dass es einfach ist.

Ich betrachte bis ich ihn verinnerlicht habe zunächst als Kompass, wenn ich Handlungen, Entscheidungen oder Äußerungen wahrnehme oder selbst vornehmen muss. Er ist quasi eine Messlatte, mit der ich Handlungen besser einschätzen kann, auch wenn ich ihm derzeit nur einräume, ein Aspekt von mehreren zu sein.

Ach ja: ich habe oben die anderen Lesarten der Frage „Was soll ich tun?“ angesprochen. Die schauen wir uns in einem der nächsten Blog-Beiträge an.


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